Bild: Hieronymus Bosch / Garten der Lüste

Wie kann man am effektivsten gegen Prokrastination ankämpfen?

Mit Kämpfen erreicht man gar nichts, außer Erschöpfung und Frustration, was dann erst recht zu Ablenkungstaktiken führt.

Prokrastination hat – man möge es kaum für möglich halten – eine Art Schutzfunktion. Wovor geschützt wird, ist aber nicht zwingend notwendig herauszufinden. Das kann dann nämlich wieder zu einer Ablenkaktion ausarten. Die wichtige Frage ist, was genau bremst mich? Wo schenke ich Aufmerksamkeit her? Noch präziser:

Was hat Macht, meine Aufmerksamkeit zu verführen?

  • Überwältigung durch eine Emotion
  • Abgabe der Konzentration an eine Hintergrundstimmung
  • Innerliche Aufwühlung durch flüchtige Gedanken
  • Aufregung über eine bevorstehende Situation
  • Verärgerung durch eine Erinnerung
  • Festgefahren in einer Routine
  • Ablenkung durch das Versprechen von Vergnügen
  • Paralysiert durch Angst vor Versagen, Schmerzen oder Tod
  • Ein Gedanken-Loop, z. B. Situationen im Kopf wiederholt abspielen, alte E-Mails neu lesen, etc.
  • Hunger bekommen oder plötzlich eine vollkommen andere Arbeit anpacken
  • Selbstdiagnosen von möglichen Krankheiten
  • Dringlichkeit, etwas zu verbessern oder zu kontrollieren
  • Unbehagen vor einer bevorstehenden Katastrophe
  • spontan Pläne ändern
  • u. a.

Prokrastination ist oft das Ergebnis dieser vorgeschobenen “Gründe”. Es handelt sich hier um ein aus den Fugen geratenes Sicherheitssystem. Ähnlich dem Phänomen “auf sich selbst wütend zu sein”. Geht man dem etwas genauer auf den Grund, erkennt man die Irrationalität sofort.

Beispiel: Man rennt, da man auf das Telefon schaut, gegen eine Glastür. Schmerz und Scham schießen sofort hoch. Es ist klar, man hat einen Fehler gemacht, indem man nur auf das Telefon geschaut hat und nicht auf die Umgebung. Ärgert sich in dem Moment “über sich selbst”. Nur man hat ja auch noch kurz davor es für völlig in Ordnung gefunden, im Telefon zu lesen. Der Gedanke “Ich schaue ins Telefon” und “Du hättest nicht ins Telefon schauen sollen” sind nun in einen Konflikt geraten. Es ist aber dieselbe geistige Funktion, die noch kurz zuvor lieber auf den Screen geschaut hat, als in die Umgebung. Das heißt, wer genau ist hier mit wem im Streit? Man braucht diese Frage gar nicht zu beantworten, es reicht sie zu stellen. Das unterbricht den inneren Konflikt sofort.

Nun kann die Glastür als eine Art Aufweckhilfe dienen. Man packt das Telefon weg und achtet etwas genauer darauf, wohin man geht. Prokrastination wäre in diesem Fall, den Blick wieder ins Telefon zu senken, da überwältigt von einem Gefühl der Scham oder einem Kritikgedanken, der lauten könnte: “Ich war so dumm, in eine Glastür hineinzulaufen, hoffentlich hat mich keiner gesehen.” Das Wieder-ins-Telefon-Starren schützt vor den Blicken anderer und simuliert eine Form von Selbstbewusstsein, indem man sich selbst kritisiert bzw. weiter auf dem Fehler beharrt. Egal, ob die Kritik berechtigt war oder nicht, sie erfüllte den Zweck einer Selbstbeurteilung. Auf diese Weise hält man seine, wenn auch etwas trübsinnige, Identität aufrecht.

Wenn Prokrastination bei der Arbeit oder bei Dingen, die langfristige, aber keine zeitnahen Ergebnisse bringen, gewählt wird, sind es auch Gedanken und Gefühle, die sich in den Vordergrund drängen. Was diese geistigen Phänomene auf gar keinen Fall wollen, ist aufgedeckt zu werden. Sie haben ja eine wichtige Funktion, das Aufrechterhalten der Ablenkung. Das Bewahren einer Identität, die auf Gewohnheit und Erfahrung beruht. Probiert man Neues oder etwas, bei dem es schlechte Erfahrungen gab, geht die Gefühls- und Gedankenalarmanlage wieder an. Hetkitsche Versuche diese sofort abzustellen, verstärkt jedoch den inneren Konflikt.

Was hilft, ist die Funktion des Gefühls/Gedankens zu erahnen, wie an den oberen Beispielen angeführt. Zwar ist dieser Schritt letztlich auch ein neuer Gedanke, aber dieser neue Gedanke baut durch die Auseinandersetzung mit den alten Gedankenmustern und Gewohnheiten eine neue Erfahrung auf. Das ist der springende Punkt! Diese neue Erfahrung, wenn oft wiederholt, ändert die Muster und kreiert eine neue Identität. Man ist jetzt stolz darauf, um das Beispiel der Glastür wieder zu verwenden, dass man nun mit offenen Augen durch die Welt geht und nicht mehr gegen Scheiben anrennt. Die Alarmbereitschaft des Egos verlagert sich aber nur. Denn wenn man wieder in eine unbekannte Situation gerät oder Angst vor etwas bekommt, dann geht der Spaß von vorne los.

Es ist aber ein gutes Zeichen den Teufelskreis aufzudecken. Also, wenn man z. B. bemerkt, dass man sich gerade mit sich selbst ärgert. Wird einem die Sinnlosigkeit bewusst, sowie die Zeitverschwendung von Prokrastination, dann fällt die situationsbezogene Veränderung leichter. So kann man dem Impuls des Egos, wie das Anrennen gegen eine Glastür, zum Überprüfen der jeweiligen Situation nutzen. Das Ego dient in dem Fall dem Wachsein. Fängt man aber an, sich über sich selbst aufzuregen oder wird depressiv, weil man gerade prokrastiniert und gerade deswegen noch tiefer in Prokrastination versinkt… Dann verstärkt man seine Identifikation mit einer illusorischen Abwehrhaltung des alten Ego-Musters. Verstrickt sich also selbst in einem unsichtbaren Netz von Gedanken, Interpretationen, Beurteilungen, Gefühlslagen etc. und wird deren Sklave. Was zu Depressionen und allen möglichen psychischen Irrwegen führen kann.

Ein Gedanke kann keinen anderen Gedanken überwinden. Sowie, ein Gefühl kann nicht auf Knopfdruck durch ein anderes ersetzt werden, auch nicht durch Medikatmente, oder Drogenkonsum. Hier hilft nur die aktive Auseinandersetzung mit den Sinneseindrücken und Veränderungen im Verhalten.

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